Objekte / Dokumente
- Sozialamt (1944 - 2015)
Titel / Bezeichnung
Sozialamt
Datum
1944 - 2015
Verzeichnungsstufe
Bestand
Institution
Verwaltungsgeschichte / Biografische Angaben
Die Sozialhilfe umfasst im 21. Jahrhundert die persönliche und materielle Hilfe. Die persönliche Hilfe ist als Sozialberatung, die materielle Hilfe als wirtschaftliche Sozialhilfe (d.h. finanzielle Hilfe) bekannt. Diese soziale Hilfe, wie wir sie heute kennen, verdankt sich sozialreformerischen Bemühungen, die im 19. Jahrhundert einsetzten. Damals waren es zuerst Privatinitiativen, die gemeinnützige Vereine gründeten und in der Fürsorge für die Armen, Kranken, Alten und Waisen tätig wurden. Es gelang im Laufe der Zeit jedoch, immer wieder gegen Widerstände, die Armenunterstützung als staatliche Aufgabe zu etablieren.
Fürsorgeangelegenheiten fielen in erster Linie in den Kompetenzbereich der Gemeinden. Diese hatten sich um die bedürftigen Bürgerinnen und Bürger zu kümmern. 1857 wurde nach Vorläufern die erste ausführliche Armenordnung in Graubünden erlassen. Sie verpflichtete die Gemeinden dazu, Gemeindearmenkommissionen einzusetzen, die für den Vollzug der Armenordnung zu sorgen hatten. Der Kanton seinerseits setzte Kreisarmenbehörden für die Aufsicht ein und die oberste Zuständigkeit wurde dem Erziehungsrat bzw. ab 1892 dem Erziehungsdepartement übertragen. Diese Armenordnung hatte zwei Seiten: Einerseits ging es um die sogenannte Armenpflege und damit um die Unterstützung von Mitbürgern, die nicht mehr selbst für ihren Unterhalt sorgen konnten. Andererseits um die sogenannte Armenpolizei und die Disziplinierung bzw. Erziehung derjenigen Armen, deren Armut man für selbstverschuldet hielt.
Wie in der Schweiz generell, so fusste auch in Graubünden das Armenwesen auf dem Heimatprinzip. Eine Gemeinde war demnach verantwortlich für die Unterstützung ihrer Bürger, unabhängig von deren Aufenthaltsort. Erst 1955 wurde ein neues kantonales Armengesetz angenommen, das zur Unterstützung nach Wohnortprinzip überging und für die Armenlasten vermehrt kantonale Ausgleichszahlungen an die Gemeinden vorsah.
Eine erste ausführliche Regelung des Vormundschaftswesens findet sich im Bündner Privatrecht von 1862, die dann vom eidgenössischen Zivilgesetzbuch von 1907 und dem dazugehörigen Bündnerischen Einführungsgesetz abgelöst wurde. Schon 1851 wurden die Vormundschaftsbehörden auf Kreisebene angesiedelt und nicht auf Gemeindeebene wie in vielen Kantonen. Dies ermöglichte es der Vormundschaftsbehörde, recht unabhängig über die Anträge von Gemeindebehörden zu entscheiden, da sie finanziell nicht mit ihnen verflochten waren. Während in den Armenordnungen die Arbeitserziehung im Vordergrund stand, stehen hier der Erhalt des Vermögens und der sparsame Umgang mit dem Geld im Zentrum.
Der dritte Zweig des sozialbehördlichen Komplexes, wie er sich in Graubünden im 20. Jahrhundert entwickelte, ist das Fürsorgewesen, das nicht mit dem Armenwesen identisch ist. Die Armenordnung von 1857 galt weiterhin, das Fürsorgegesetz von 1920 trat ergänzend hinzu. Es war ursprünglich als reines Trinkerfürsorgegesetz gedacht, ermöglichte aber schliesslich Massnahmen gegen "Trinker", "Vaganten" und "Liederliche". Bedeutsam war das Gesetz, indem darin die Einrichtung eines kantonalen Fürsorgeamts bestimmt wurde, das heutige Sozialamt, das am Anfang allerdings nur aus dem kantonalen Fürsorger bestand. Die Stelle besetzte man sogleich mit dem bisher privat finanzierten Sekretär der Zentralstelle für Trinkerfürsorge. Dies markierte den Beginn der professionellen Sozialarbeit im Kanton und ebenso den Beginn des eigenständigen kantonalen Engagements im Sozialwesen. Der kantonale Fürsorger widmete sich am Anfang zusammen mit den Vormundschaftsbehörden fast ausschliesslich der Trinkerfürsorge, erhielt dann aber immer mehr Aufgaben. So leitete er z.B. ab 1933 die Zentralstelle der Pflegekinderfürsorge, organisierte die Fürsorge für ältere Arbeitslose, war zuständig für die Winterhilfe und die Schutzaufsicht über Straffällige. Da dies ohne weitere Unterstützung nicht möglich war, erfolgte 1943 mittels Verordnung eine erhebliche Aufstockung der Fürsorgeorganisation im Amt und vor allem wurden elf Bezirksfürsorgestellen eingerichtet, welche für eine ständige Betreuung der Fürsorgebedürftigen zuständig waren. Die Verordnung von 1943 rückte "vorbeugende Massnahmen" und "Selbsthilfebestrebungen" in den Vordergrund. Auch die Tuberkulosefürsorge, die Alters- und Hinterlassenenfürsorge und die Pflegekinderaufsicht wurden in der Verordnung dem Fürsorgeamt übertragen. 1955 schliesslich wurde mit der Verordnung über die Kinderheime dem Fürsorgeamt auch die Aufsicht über diese übertragen. Auch die Flüchtlingsberatung und -betreuung wurde eine Aufgabe des Amtes.
Die Zahl der Bezirksfürsorgestellen, welche die Gemeinden und Vormundschaftsbehörden entlasteten, wurde 1967 von 11 auf 13 erhöht. Bei den Fürsorgestellen lagen Aufgaben primär im Bereich der freiwilligen Sozialarbeit, während die materielle Hilfe an Bedeutung verlor. Den grössten Platz nahmen Familien- und Jugendhilfe ein (Schul- und Erziehungsfragen, finanzielle Schwierigkeiten, vormundschaftliche Erziehungsaufgaben usw.).
[Vgl. Kaufmann, Andréa: Armenordnungen und "Vagantenfürsorge": Entwicklungen im Bündner Armen- und Fürsorgewesen, in: Dazzi, Guadench et al.: Puur und Kessler. Sesshafte und Fahrende in Graubünden, Baden 2008, S. 102-142; Rietmann, Tanja: Fürsorgerische Zwangsmassnahmen: Anstaltsversorgungen, Fremdplatzierungen und Entmündigungen in Graubünden im 19. und 20. Jahrhundert, Chur 2017 (Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte 34), S. 37-49, 69-80 und 105-140]
Das Gesetz über das Armenwesen und das Fürsorgegesetz wurden von dem bis heute gültigen "Gesetz über die Unterstützung Bedürftiger" vom 3.12.1978 und vor allem vom "Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe" vom 7.12.1986 abgelöst. Mit diesem Gesetz wurde aus dem Fürsorgeamt das Sozialamt, wobei die Aufgaben im Grossen und Ganzen die gleichen blieben. Gesetzlich verankert wurde zusätzlich die Aufgabe der Aus- und Weiterbildung des Personals der Sozialdienste durch das Sozialamt. Die materielle Unterstützung wurde weiter zugunsten der Beratung und Betreuung der Hilfsbedürftigen zurückgebaut. Mit dem allgemeinen Rückgang der materiellen Not wurden die Aufgaben der Betreuung bei persönlichen, familiären und sozialen Problemen wichtiger. Die materielle Sozialhilfe blieb Sache der Gemeinden, aber der Kanton unterstützte diese gemäss Unterstützungsgesetz. Aus den Bezirksfürsorgestellen wurden fünf, später acht regionale Sozialdienste. Die Trinkerfürsorge wurde auf die allgemeine Suchthilfe ausgeweitet. Unter anderem wurde 1995 die Jugend- und Drogenberatungsstelle des Vereins Fachstellen für Suchtfragen in Chur durch das Sozialamt übernommen. 1993 wurden beim Sozialamt Opferhilfe-Beratungsstellen für die Hilfe an Opfer von Straftaten eingerichtet. Sukzessive wurden die dezentralen Stellen jedoch wieder geschlossen und wichen einer zentralen Beratungsstelle in Chur.
[Vgl. Erlass eines Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe im Kanton Graubünden, in: Botschaften der Regierung an den Grossen Rat 1985/86, S. 555-578; Staatskalender; Landesbericht Graubünden 1987, S. 5; Landesbericht Graubünden 1995, S. 139; Landesbericht Graubünden 1997, S. 128]
Das seit 1921 existierende Fürsorgeamt war bis 1930 dem Erziehungsdepartement unterstellt, danach bis 1986 dem Erziehungs- und Sanitätsdepartement, zuerst im Erziehungsdepartement, ab 1975 im Sanitätsdepartement. Das Sozialamt ab 1987 war dem Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement unterstellt, bis es 2007 im Departement für Volkswirtschaft und Soziales integriert wurde. [Vgl. Staatskalender]
Anzahl / Umfang
18.23 Laufmeter
5.00 Videokassette(n)
Form und Inhalt
Der Bestand umfasst einen Zugang:
- C22 Sozialamt: Unterlagen aus dem gesamten Geschäftsbereich 1944-2015 enthaltend Unterlagen aus den Fachbereichen des Sozialamtes und Unterlagen der regionalen und spezialisierten Sozialdienste.
Kategorie
Standort
Staatsarchiv Graubünden
Provenienz
Quelle
Archivdatenbank des Staatsarchiv Graubünden: https://staatsarchiv-findsystem.gr.ch/home/#/content/4c021560f5264628bbf79770bce695ab
Benutzbarkeit
TeilweiseGesuchspflichtig
Zugangsbestimmungen
Im Bestand vergebene Schutzfristen: 30 Jahre (Ordentliche Schutzfrist), 80 Jahre (Besonders schützenswerte Personendaten), 120 Jahre (Unterlagen Opferhilfe)
Schutzfrist
999 Jahre (Verschiedene Schutzfristen)
Schutzfrist Ende
02.01.2129
Nutzungsrechte
Gemeinfrei