Beschreibung
Ein historisches Haus wird zum Künstleratelier
In den Jahren 1818 bis 1823 wurde die Commercialstrasse als Verbindung von Norden nach Süden gebaut. Hatten die Säumer die Waren davor noch mit Bastsätteln auf den Pferdrücken transportiert, war der Handel nun einfacher. Nach wie vor mussten die Transportgüter aber zwischengelagert und die Pferde ausgewechselt werden. Einer dieser Orte war Thusis und einer, der ein solches Lagerhaus betrieb, der Thusner Kaufmann, Jakob Casparis (1852-1927). Er selber wohnte mit seiner Familie gleich neben seinem Betrieb an der Oberen Stallstrasse im heutigen Haus Casparis. Wann das Haus Casparis gebaut wurde, ist unklar. Gesichert ist, dass im Jahr 1729 der Pietist, Pfarrer Willi, Waisenkindern darin ein Zuhause gab. Grundstück und Kapital hatte er von der Thusner Familie Rosenroll als Geschenk erhalten. Im Jahr 1733 wurde das Waisenhaus mangels Unterstützung der Bevölkerung wieder geschlossen und ging ein Jahr später zurück an Ursula von Rosenroll, geborene Salis. Als eines der wenigen Häuser überlebte das Haus im Jahr 1845 unversehrt den Dorfbrand. Wie es genutzt wurde bis es Mitte des 19. Jahrhunderts in Besitz des Kaufmanns Jakob Casparis kam, ist unklar. Aber: Er nutzte den Schwung der neuen Nord-Südverbindung. Im Jahr 1863 baute er an der Oberen Stallstrasse den besagten Rossstall mit Heubühne, eine Kaffeerösterei und eine Getreidemühle zum Haus Casparis.
Jakob Casparis war nicht nur ein gewiefter Händler sondern auch Stammesvater einer weitverzweigten Nachkommenschaft. Dazu gehörte aus einem der Familienzweige auch Paulina Casparis (1893-1979). Sie erbte Kolonialwarenlager und Rossstall samt grossem Umschwung. Nach ihrem Tod ging diese Liegenschaft in den Besitz ihrer Tochter, Lilly Keller Grieb (1919-2018) über. Lilly Keller wuchs in Muri bei Bern auf. Nachdem sie die Grafik-Fachklasse an der damaligen Kunstgewerbeschule Zürich (heute Zürcher Hochschule der Künste) abgebrochen hatte, wurde sie zur freischaffenden Künstlerin und gehörte dem inneren Zirkel Daniel Spoerri, Meret Oppenheim, Friedrich Kuhn, Peter von Wattenwyl, Jean Tinguely und Leonardo Bezzola an. Als Künstlerin schuf sie sich ihren Rückzugsort im ehemaligen Stallgebäude ihrer Vorfahren und baute das Haus ab den 1980er-Jahren nach und nach zu ihrem Atelierwohnhaus aus. Im Jahr 2016, acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes, Toni Grieb, zog sie ganz nach Thusis wo sie im Februar 2018 starb. Gemäss ihrem letzten Willen gingen das umfangreiche Werk und die Liegenschaft mit dem von ihr gestalteten Garten in die Lilly Keller-Stiftung über. Heute steht das Haus unter anderem als Residenz jungen Künstlerinnen und Künstlern offen. Führungen sind auf Anfrage möglich.