Bemerkungen
Der «Blaue Heinrich» - Husten
Er liess seinen Vetter etwas sehen: eine flache, geschweifte Flasche aus blauem Glase mit einem Metallverschluss. "Das haben die meisten von uns hier oben". "Es hat auch einen Namen bei uns, so einen Spitznamen, ganz fidel".
(Thomas Mann der Zauberberg; 1.Kapitel: “Ankunft”).
"Der pfeift bald aus dem letzten Loch. Schon wieder muss er sich mit dem Blauen Heinrich besprechen“.
Ohne Überwindung, mit störrisch unwissender Mine, brachte sie die fratzenhafte Bezeichnung "der Blaue Heinrich" über die Lippen.
{Thomas Mann der Zauberberg; 3.Kapitel: “Natürlich ein Frauenzimmer”}
Es war ein Husten, der keinem anderen ähnelte, den Hans Castorp jemals gehört hatten, ja, mit dem verglichen jeder andere ihm bekannte Husten eine prächtige und gesunde Lebensäusserung gewesen war, - ein Husten ganz ohne Laut und Liebe, der nicht richtig in Stössen geschah, sondern nur wie ein schauerliches kraftloses Wühlen im Brei organischer Auflösung klang.
(Thomas Mann « Der Zauberberg»)
"Blauen Heinrich" nennt die ungebildete Frau Stöhr den Apparat in Thomas Manns Roman "Zauberberg", in dem der Literat die Welt in einer Tuberkuloseheilstätte, einem geschlossenen Patientenkollektiv, beschreibt. Hans Castorp reagiert auf Frau Stöhrs Ausspruch mit Schrecken und Lachreiz zugleich. Während ihre ungehobelte Ausdruckweise wohl Grund für den Lachreiz war, sorgte die Funktion des "Blauen Heinrich" für den Schrecken. Den 10,5 cm hohen Apparat, dessen Körper aus blauem Glas gefertigt ist und der mit seinem metallenen Deckel und Boden einen fast ästhetischen Eindruck hinterläßt, benutzten im "Zauberberg" die Tuberkulosekranken, um ihr infektiöses Sputum aufzufangen und zu verwahren. In Fachkreisen nannte man den "Blauen Heinrich" daher "Taschenfläschchen für Hustende". Für Castorp war es eine stete Erinnerung an sein Leiden, das die Heilkundigen zu seiner Zeit besonders mit Klimakuren, z.B. in Davos, behandelten. Medikamente wie Streptomycin, die gegen den Erreger direkt wirken, kamen erst Mitte des 20. Jahrhunderts auf den Markt.
Peter Dettweiler, Dirigent an der Lungenheilanstalt zu Falkenstein im Taunus, hatte das Taschenfläschchen 1889 auf dem 8. Kongreß für Innere Medizin in Wiesbaden der Ärzteschaft vorgestellt, wenige Jahre nachdem Robert Koch (1882) den Erreger der Tuberkulose entdeckt hatte. Dettweiler entwickelte den Apparat mit Hilfe von Technikern der Firma Noelle & Co. in Lüdenscheid, die ihn zum Preis von " 1 Mark 50" vertrieb.
Versuche aus den frühen 1880er Jahren waren zuvor fehlgeschlagen, da andere Techniker seine Ideen nicht in die Praxis umsetzen konnten. Durch die Forschungen von Georg Cornet, der die Infektionsgefahr durch den Auswurf Tuberkulosekranker statistisch bewiesen hatte, ließ sich der Kliniker zu einem erneuten Versuch motivieren: die Innovation war von interdisziplinärer Zusammenarbeit abhängig. Dettweiler forderte in seinem Wiesbadener Vortrag mit großem Engagement, seine Erfindung allgemein einzusetzen. Er betrachtete es als eine "heilige Pflicht", jedem Hustenden (denn man kann nie im voraus wissen, wann der Auswurf beginnt, gefahrdrohend zu werden) den Gebrauch dieses einfachen, billigen Gerätes" vorzuschreiben, statt "seinen Auswurf in sein Taschentuch oder, was bis jetzt als das Wohlerzogendste, weil die Sinne am wenigsten beleidigende galt, auf den Fußboden zu deponieren und in unserem Sinne damit unreinlich d.h. sich und Anderen gefährlich zu sein." Die Konstruktion des "Blauen Heinrich" knüpft nicht nur farblich an alte Tintenfässer an. Wie bei einigen dieser Gefäße reicht ein Trichter in die Tiefe des Glaskörpers, ungefähr bis zur Mitte. Er sichert den unappetitlichen und gefährlichen Inhalt: Selbst wenn der Deckel nicht geschlossen wird und der "Blaue Heinrich" umkippt, ergießt sich der Inhalt nicht nach Außen solange die Flasche maximal halb gefüllt ist. Durch den abschraubbaren Boden ließ man das Sputum aus dem Glaskörper ab, den man anschließend reinigte, etwa mit 5%iger Karbollösung.