Das immaterielle Kulturerbe Graubündens
Mit dem Kloster Müstair und der Albula- und Berninalinie der Rhätischen Bahn hat Graubünden einzigartige UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten vorzuweisen. Doch in Graubünden spielt nicht nur die Baukultur eine grosse Rolle. Ebenso wichtig – und lokal tief verankert – ist das immaterielle Kulturerbe.
Der Frühling beginnt im Oberhalbstein, im Engadin und in den Bündner Südtälern traditionell mit dem Chalandamarz. Die Vertreibung des Winters mit Glocken ist dank dem Kinderbuch «Schellen-Ursli» weitherum bekannt. Graubünden kennt aber noch weitere Bräuche, die im Frühling gepflegt werden. So wandern im Mai die Churer Kinder aus der Stadt auf die umliegenden Maiensässe: Diese Tradition heisst Maiensässfahrt. In Poschiavo findet ein Familienausflug der reformierten Kirchgemeinde zur Kirche auf dem Maiensäss Selva statt: die Gita a Selva.
Das ganze Jahr hindurch werden in Graubünden alte Bräuche und Traditionen gepflegt. Oft sind diese lokal und regional tief verwurzelt. Und häufig nehmen Kinder und Jugendliche wichtige Rollen ein. Das gilt für den Chalandamarz, aber auch für den Hom Strom. Für diesen Feuerbrauch errichten die Kinder von Scuol einen Strohmann, der anschliessend – ähnlich wie der Böögg am Zürcher Sechseläuten – in Flammen gesetzt wird. Auch beim Pschuuri, einem Fasnachtsbrauch in Splügen, spielen Kinder und Jugendliche die Hauptrollen. Nicht anders verhält es sich beim Scheibenschlagen, das kurz nach Aschermittwoch in Untervaz, Danis-Tavanasa und Dardin praktiziert wird: Hier schleudern Knaben und Burschen mittels Ruten glühende Holzscheiben ins abendliche Dunkel.
Die Fasnachts- und Feuerbräuche sowie die Maiensässfahrten von Chur und Poschiavo bilden gewissermassen den Jahresauftakt für die Pflege der lebendigen Traditionen in Graubünden. Ist der Schnee geschmolzen, wird beispielsweise auf den Wiesen von Furna im Prättigau Hürnä gespielt, eine Variante des Hornussens. Und am Heinzenberg wird eine Art Alpengolf praktiziert: Mazza Cula.
Doch was sind lebendige Traditionen genau? Im Prinzip entsprechen sie dem immateriellen Kulturerbe, das die UNESCO wie folgt definiert: «Immaterielles Kulturerbe bezeichnet lebendige, über Generationen weitergegebene Traditionen und Praktiken, die einer Gemeinschaft ein Gefühl der Identität und der Kontinuität vermitteln.» Die Bandbreite des immateriellen Kulturerbes reicht somit von Sagen über Bräuche und Spiele bis zu Handwerks- und Kulturpraktiken wie Sgraffito. Diese traditionelle Fassaden-Dekorationstechnik wird vor allem im Engadin gepflegt. Im benachbarten Bergell wiederum bildet der Umgang mit den Kastanien eine ganz eigene Kulturpraktik. Kein Wunder, befindet sich im Bergell doch einer der grössten, gepflegten Kastanienwälder Europas. Neu wurde unter anderem auch die Pflege der Walseridentität in die Liste der lebendigen Traditionen aufgenommen.
Nachfolgend finden Sie eine Auswahl an Bündner Bräuchen und Traditionen.